Tauferinnerung unter der Morgendusche

13.04.2017 00:51

„Wach auf, du Schläfer…“, so hieß es in der neutestamentlichen Lesung des 5. Fastensonntages am 26. März dieses Jahres. Ich hatte mir diese Bibelstelle (Eph 5, 8-14) an eben diesem Sonntag als Predigttext für einen Kreuzweg ausgesucht. Diese Worte „Wach auf, du Schläfer…“ hatten für mich an jenem Tag eine besondere Brisanz, da es sich um das Wochenende der Zeitumstellung von der Winterzeit auf die Sommerzeit handelte und ich für den Sonntag die Frühschicht an meiner Arbeitsstelle ausgefasst hatte. Da ich schon von vornherein kein Morgenmensch bin, kann sich eine Stunde weniger Schlaf durchaus auf die eine oder andere Art bemerkbar machen, auch wenn dieser „Mini-Jetleg“ bei mir erfahrungsgemäß erst am zweiten Tag zum Tragen kommt.

Beim eingangs erwähnten Bibelwort geht es aber um mehr als den gewöhnlichen Schlaf, denn es heißt vollständig: „Wach auf, du Schläfer, und steh auf von den Toten und Christus wird dein Licht sein.“ (Eph 5,14) Im Kommentar der neuen Einheitsübersetzung steht dazu: „Zitat aus urchristlicher Taufliturgie.“ Das ist ein sehr interessanter Hinweis, denn in urchristlicher Zeit war nicht die Säuglingstaufe die Regel, sondern die Erwachsenentaufe, und man taufte diese durch vollständiges Untertauchen oder Übergießen mit Wasser, während sie im Wasser standen. Dazu errichtete man eigene Taufhäuser, so genannte „Baptisterien“, wie man sie mancherorts heute noch besichtigen kann. Bei dieser Wasserung ging es um ein symbolisches Mitvollziehen des Sterbens und Auferstehens Jesu, wobei das Wasser eine doppelte Funktion erfüllte: Es ließ den alten, sündigen Menschen sterben und verhalf gleichzeitig dem neuen, von Sünde befreiten Menschen zum Leben in Christus. Im Vergleich mit der später eingeführten und heute nach wie vor praktizierten wassersparenden Säuglingstaufe (die Baptistengemeinden bilden hier eine rühmliche Ausnahme) handelte es sich bei der ursprünglichen Erwachsenentaufe um ein Ganzkörpererlebnis, an das man sich erinnern sollte und konnte.

Da ich als Säugling getauft wurde, kann ich mich naturgemäß nicht daran erinnern. Es gibt allerdings eigene Tauferinnerungshandlungen wie das Eintauchen der Finger in das Weihwasserbecken und das anschließende Bekreuzigen beim Betreten von Kirchen, und es gibt Rituale zur Tauferneuerung, von denen das wichtigste Jahr für Jahr im Zuge der christlichen Osternachtfeier von der ganzen Feiergemeinde mitvollzogen wird. Auch das Mitvollziehen eines Kreuzweges stellt ein symbolisches Miterleben des Sterbens und Auferstehens Jesu dar, sofern am Ende zumindest eine Andeutung der Auferstehung enthalten ist. Beim Besteigen eines Kalvarienberges ist für mich auch der Gedanke spannend, dass man sich bei der Kreuzigung und dem Sterben Jesu am höchsten Punkt des Weges befindet, während der urchristliche Täufling sich beim symbolischen Mit-Sterben am tiefsten Punkt des Taufganges befand, nämlich unter Wasser.

Allen gängigen Handlungen und Ritualen zur Tauferinnerung oder –erneuerung ist freilich gemeinsam, dass sie ohne das urchristliche Ganzkörpererlebnis des Untertauchens oder Übergießens mit Wasser durchgeführt werden. Daher kam mir der Gedanke, eine Tauferinnerung mit einer alltäglichen Wasserungserfahrung zu verbinden, wie es das Baden oder Duschen darstellt. Gedacht, getan: Am (besonders frühen) Morgen des oben erwähnten Predigttages trat ich unter die Dusche und wiederholte in Gedanken das Zitat mit dem „Wach auf, du Schläfer…“, und ich darf sagen: Es war ein etwas anderes Duscherlebnis als die bisherigen und hat meinen Blick auf das tägliche Reinigungsritual nachhaltig verändert.

Ich kann den geneigten Lesenden dieses Artikels nur empfehlen, es auch einmal zu versuchen – im Besonderen im Blick auf den bevorstehenden Ostermorgen. Ich werde es sicher wieder tun (zumal ich auch dieses Mal wieder die Frühschicht verordnet bekam), und vielleicht wage ich es sogar, das Erlebnis mit kaltem Wasser zu intensivieren… :-)